Freitag, 2. April 2010

OpEd Revisted*: Islamistischer Terrorismus Warum beschäftige ich mich mit diesem Thema?


Kurz nach dem 11. September 2001 [9/11] habe ich begonnen, mich mit dem Thema "islamistischer Terrorismus" zu beschäftigen. Damals begann ich für die LA TIMES mit an einem Porträt von Mohammed Atta zu arbeiten. Seitdem hat das Thema weder die westlichen Medien noch mich losgelassen. Zu viele Fragen waren und sind noch offen, nicht zuletzt: Warum töten diese Menschen?


Ein Verfassungsschützer nannte die Arbeit der Medien nach 9/11 mir gegenüber treffend eine "Notberichterstattung". Die Geschichte war so wichtig, der Druck und die Konkurrenz so groß - und die offiziellen Stellen so schweigsam, dass viele Kollegen das zwangsläufige Faktenvakuum einfach selber füllten, ohne annähernd den Hintergrund der Täter, der Tat oder der Motive zu kennen. Andere folgten blind der Linie der ermittelnden Behörden, die – wie sich später herausstellte –vieles verschleierten oder verschwiegen, weil sie eigene schwere Fehler zu verbergen hatten. Das führte dazu, dass die Medien bei dem Prozess das Phänomen Islamismus und Terrorismus zu verstehen, viel Zeit verloren haben.


Auch meine Kollegen von der LA TIMES und ich mussten die meisten Zeit darauf verwenden, Gerüchte, Unwahrheiten und gar Lügen als solche zu erkennen. Die Berichterstattung vieler Kollegen wird bis heute von falschen Geschichten geprägt, die oft in wenigen Tagen nach 9/11 ohne ausreichende Recherche geschrieben wurden – und nicht zuletzt durch das Internet noch immer viel zitierte Quellen sind. Manche Autoren haben sogar ihre Karriere auf diesen Falschmeldungen aufgebaut, die angeblich Verschwörungen belegen.


Seit den Anschlägen von Madrid haben die Medienmacher begriffen, dass dieser Terror auch die Menschen in Westeuropa direkt betrifft. Viele Kollegen, die über das Thema berichten, sahen mit Schrecken, dass sich auch unter ihren Augen ein Netz gewaltbereiter Islamisten entwickelt hatte, ohne das man diese Gefahr klar erkannt hätte. Bei Recherchen bin ich selber immer wieder auf Aktivisten und Islamisten gestoßen, ohne ihre Rolle und Gefährlichkeit vollends zu begreifen.


Denn ein Aspekt, der die Arbeit an diesem Thema so kompliziert macht, ist der schwer zu fassende Charakter der islamistischen Extremisten: diese Menschen sind nur sehr selten die perfekten, kaltblütigen Killer, als die sie oft beschrieben werden. Dieses Bild entstand nicht zuletzt weil Polizeibehörden und Geheimdienste, vor allem die amerikanischen, nicht zugeben wollten, dass sie von chaotisch handelnden Amateuren so vernichtend getroffen worden sind.


Tatsächlich haben sich viele islamistische Terroristen oft sehr plump und auffällig verhalten. Die wenigsten haben sich von Moscheen fern gehalten oder ihre radikale Gesinnung versucht zu verbergen. Viele Aktivisten neigen zu Fehlern, sie handeln oft unberechenbar. Trotzdem glauben viele Ermittler und Journalisten in den Handlungen der Terroristen Muster, Strukturen und für sie typische Verhaltensweisen zu erkennen. In der Tat ist eher so, dass es die Medien selber sind, die den Begriff und die "Marke" al-Qaida brauchen und der zersplitterten islamistischen Szene al-Qaida-Markenzeichen andichten.


Vieles ist bei den islamistischen Terroristen im Fluss, einiges passiert schlicht zufällig, nicht alles hat einen tieferen Sinn. Letztendlich ist der Wille niemals aufzugeben und ihre nicht verhandelbare Wut auf den Westen, die Ungläubigen, das Gefährlichste an islamistischen Terroristen - neben der Bereitschaft, das eigene Leben zu geben.


Der 11.9.2001 war der erste Tag eines schwierigen Prozesses - viele Journalisten begannen langsam, wie ich selbst, die Motivation, Strukturen und Hintergründe der Islamisten zu verstehen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Medien berichten noch immer zu oft vereinfachend über das Thema, da es zu wenig Menschen gibt, die das Phänomen islamistischer Terrorismus wirklich begriffen haben und zitabel sind (viele Experten wurden von den Sicherheitsbehörden angestellt und dürfen keine Interviews mehr geben). Darüber hinaus sind zu viele Aussagen, Akten und Vorgänge unter Verschluss- ohne dieses Material ist es unmöglich, das ganze Bild zu verstehen. Allerdings dürfen Untersuchungsberichte, Ermittlungsakten oder Gerichtsverhandlungen nicht die Recherche ersetzen. Jeder Politiker in einem Untersuchungsausschuss und jeder Staatsanwalt hat auch seine eigenen Motive. Zudem behalten verhaftete Islamisten viele Geheimnisse für sich.


Gerade ist die Organisation al-Qaida ein Synonym für Terror geworden, schon gibt es Experten und Ermittler, die glauben, dass es al-Qaida schon lange nicht mehr gibt – dass die Organisation durch eine neue Form von neuen oder wieder erstarkten unabhängigen Terrorgruppen abgelöst worden ist.


Die Arbeit, den Menschen die Hintergründe des islamistischer Terrors zu erklären ist also noch nicht beendet. Gleichzeitig darf die Gefahr nicht dramatisiert werden, so dass ein Klima der Angst herrscht - des gibt zwar in der Tat kaum wirksame Mittel gegen den Terror, aber die Terroristen können eben so wenig ein ganzes Gesellschaftssystem abschaffen.


Es ist zu befürchten, dass das Thema uns Jahre, vielleicht Jahrzehnte beschäftigten wird, da nicht zuletzt der Irakkrieg und seine Folgen eine ganze Generation von frustrierten muslimischen Jugendlichen prägt und prägen wird. Die wiederum sind die anfällig für gewaltbereite Ideologien.


* Diesen Text schrieb ich 2004, als ich meine erste Homepage ins Netz stellte. Viele Aspekte sind – zu meiner Verblüffung – noch immer aktuell. Vieles hat sich – zum Glück – als wahr herausgestellt.


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